Rollstuhlfahrer in Grafing: Der Weg in die Einsamkeit

2023-03-23 15:18:48 By : Ms. Nicole He

Bei einem Rundgang in Grafing berichten Rollstuhlfahrer von unüberwindlichen Barrieren und decken zahlreiche Mängel auf. Es war nicht das erste Mal.

Grafing – Manche Barrieren sind gewollt. Bordsteine von Gehwegen etwa zum Schutz der Fußgänger vor rücksichtslosen Autofahrern. Die können von einem Ausweichen aufs Trottoir manchmal nur abgehalten werden, weil sie Angst um ihre Felgen haben. Gleichzeitig sind Bordsteine aber Hindernisse für Rollstuhlfahrer. Ein Rundgang, zu dem Stadt- und Bezirksrätin Ottilie Eberl (Grüne) am Marktplatz in Grafing eingeladen hatte, zeigte: Ein Rollifahrer ist ganz schön erledigt, wenn er mit seinen Erledigungen fertig ist.

Besonders der Einzelhandel, der gerne über die Konkurrenz aus dem Internet jammert, baut manchmal vermeidbare Hürden auf. Und das, obwohl jede Stufe ins Geschäft zehn Prozent Umsatzminus ausmacht. Die Situation ist nicht nur in Grafing so, sondern auch in anderen Orten des Landkreises.

Die Marktplatzexkursion zeigte aber auch: Mancher Missstand lässt sich gar nicht beheben, weil Brandschutz oder Denkmalschutz dem entgegenstehen. Wenn Einzelhandelsgeschäfte nur über eine Treppe oder Stufen erreichbar sind, kann das den Umsatz negativ beeinflussen. „Das ist eine erste und entscheidende Hürde“, hat Bernd Ohlmann vom Handelsverband Bayern den Grafingern schon bestätigt. Bei Neu- oder Umbauten wird das inzwischen berücksichtigt. Deshalb bekommt „Ellis Caféhaus“ am Marktplatz eine gute Bewertung von Eberl. Diese Beurteilung hat sie auf wheelmap.org eingetragen. Das ist eine interaktive „Landkarte“ für Rollstuhlfahrer, auf der für sie wichtige Informationen eingeschrieben werden können. Unter anderem eben der barrierefreie Zugang zu besagtem Café am Marktplatz.

„Es gibt auch gute Beispiele“, freut sich Eberl. Schlechte Beispiele gibt es aber eben auch und das sogar im Rathaus, wie Bürgermeister Christian Bauer (CSU), der bei dem Rundgang dabei war, zur Kenntnis nahm. Die Behindertentoilette im Rathaus kann von Rollstuhlfahrern nicht benutzt werden, weil der Gang zu eng und die Türe falsch angeschlagen ist. Beim Öffnen ist sich der Rollifahrer selbst im Weg. Immerhin: „Toll, dass es im Rathaus einen Türöffner gibt“, lobte Christa Haslinger den Zugang. Sie ist mit einem Elektrorollstuhl in Grafing unterwegs und kennt die kritischen Punkte, zum Beispiel, dass die Bordsteine an der Querungshilfe in der Glonner Straße nicht abgesenkt seien. „Wir haben vor Jahren schon einmal einen solchen Spaziergang gemacht. Da gab es interessante Punkte. Davon wurde nicht viel umgesetzt“, bedauert Bauer.

Für viele ein Gestaltungsmittel, für Rollstuhlfahrer aber ein Grausen ist das Kopfsteinpflaster. Es erschwert zum Beispiel den Kunden den Zugang zur Sparkassenfiliale, die dazu um ein schmales Eck herum müssen. Immerhin: Es gibt einen Türöffner, der über einen einfachen Sensor betätigt werden kann. Das wurde wiederum gelobt.

Walter Gruber führte den Rundgangsteilnehmern vor, was er und seine im Rollstuhl sitzende Mutter gefährlich finden: Manchmal ragen Stufen von Eingängen am Marktplatz so weit in die Gehwege hinein, dass kein Durchkommen mehr ist. Die Folge davon sei, dass auf die Straße ausgewichen werden müsse, und „da bist du als Rollstuhlfahrer immer ein Hindernis“, so Gruber. In der Lederergasse ist der Gehweg so schmal, dass er für Rollifahrer überhaupt nicht benutzbar ist.

Oft haben Mängel historische Gründe: „Die Straße war eben früher nur für Fuhrwerke ausgelegt“, sagte Stadtrat Uwe Peters (Grüne) beim Rundgang. Die Marktkirche kann mit dem Rollstuhl gar nicht besucht werden, das Eingangstor ist zu schmal. Geändert werden könne daran wohl nichts, bedauerte Bauer mit Hinweis auf den „Denkmalschutz“. Hier kollidierten unterschiedliche Interessen, sagte er.

In einer Gaststätte geht die Eingangstüre nach außen auf. Das sei Brandschutzvorschrift, so Bauer. Der Nachteil: Ein Rollstuhlfahrer kann sie alleine nicht öffnen. Und weil die Toiletten dort im Keller sind, „darf man auch nichts trinken“, bei einem Gaststättenbesuch, sagte Haslinger nur halb im Spaß. Manche Rampen sind an Gebäuden in der Stadt nur zur Zierde angebracht. Sie sind viel zu steil. „Rauffahren geht ja noch, aber runterfahren!“, berichtete Gruber. Das sei zu gefährlich.

Gut gelöst hingegen ist gegenüber der Zugang zur Stadtbücherei. Und dort gibt es auch eine behindertengerechte Toilette, bei der einer kein Entfesselungskünstler sein muss, um sie problemlos zu benutzen. Auch im „Zamworking“ am Marktplatz, wo man einen Schreibtisch, ein Büro oder einen Meeting-Raum buchen kann, gibt es eine geräumige Behindertentoilette. In den ersten Stock führt dort ein Aufzug.

Hier gab es für die Rundgangsteilnehmer zum Abschluss eine Brotzeit und von Ottilie Eberl ein nachdenkliches Schlusswort: „Wenn überall Barrieren sind, dann bleiben die Leute zuhause, und das ist der Weg in die Einsamkeit. Das kommt dabei am Ende heraus“, warnte sie.

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